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Die Nachrichtenführerin

Seit fünf Jahren moderiert Marietta Slomka das „heute-journal“ im ZDF
Von Wiebke Eden

Eigentlich, sagt Marietta Slomka, dränge sie sich den Leuten ja auf. „Jeden Abend im Großformat ins Wohnzimmer zu strahlen, ist doch ein unheimlich impertinenter Vorgang.“ Sie lacht, volltönend und tief, tiefer, als ihre Stimme im Fernsehen es vermuten ließe. Jedenfalls hat Frechheit der gebürtigen Kölnerin bisher nicht geschadet. Nicht dem Kind, das den Erwachsenen einst gern Widerworte gab, nicht der Studentin, die dem unfähigen Seminarleiter sagte, was alle dachten, nicht der Moderatorin des „heute-journals“, die den Bundespolitiker fragt, was alle wissen wollen, Herrn Schröder zum Beispiel, bis vor kurzem, und jetzt Frau Merkel.

Fünf Jahre sind vergangen, seit das ZDF das neue Gesicht präsentierte, ein kaum bekanntes Gesicht, das mit hellen blauen Augen aus dem Bildschirm guckte. Der Sender sei schon ein Risiko eingegangen, findet Marietta Slomka im Nachhinein: „Jemanden zu nehmen, der zwar journalistische, aber wenig Kamera-Erfahrung hatte - das hätte auch schief gehen können.“ Doch die Nachfolgerin von Alexander Niemetz reüssierte, obwohl – oder möglicherweise gerade weil - sie Ausdrücke verwendet wie „dumm gelaufen“ oder „keine Schnitte gekriegt“, mit sparsam verzogener Miene, um den Worten ihre Komik zu lassen, doch ist da, diebisch und fein, ein Funkeln in Slomkas Augen. Durch ihre Persönlichkeit, die sie in das bis dahin eher graumelierte Magazin brachte, verschaffte sie sich im Laufe der Jahre Präsenz und Popularität.

Ein Restaurant am Berliner Gendarmenmarkt. Die 36-Jährige, die im Wechsel mit Claus Kleber und Klaus-Peter Siegloch moderiert, ist für ein paar Tage zu Gast in der Hauptstadt. Jahrelang hat sie hier gelebt. Sie trägt einen hellen Pullover mit V-Ausschnitt, um den Hals eine Kette, an der eine Art Zahn hängt. „Kein Elfenbein“, sagt sie und streicht über die Zacke, „sondern Horn.“ Aus Südafrika, wo sie zuletzt Urlaub gemacht hat. Marietta Slomka bestellt Cappuccino, dann Kartoffelsuppe, dann wieder Cappuccino. Ihre Augen wirken weniger blau als im Scheinwerferlicht, doch sind die Lachfältchen um so sichtbarer. Sie raucht genüsslich und sagt, dass Moderatorin des „heute-journals“ für sie ein Job ist „wie jeder andere“: „Ich sage auch: Ich gehe jetzt ins Büro.“ Wie ein Versicherungsangestellter halt. Nur dass der am Abend die Schreibtischlampe ausknipst und mit niemandem mehr sprechen muss, während für Marietta Slomka alle Lichter angehen und Millionen Menschen etwas von ihr gesagt bekommen wollen. Nervosität plagt sie nicht mehr, zumindest nicht, wenn es in einer Sendung um die nächsten Landtagswahlen geht oder Klinsmanns Truppe. Das sind normale Arbeitsabende, an denen sie kurz vor Sendebeginn noch unter dem Streicheln der Puderquaste entspannt hat: „In der Maske ist es wie im Spa.“

Schlagartig wandelt sich das Bild, wenn Unvorhersehbares passiert. Wenn sich Sendungen nicht planen lassen wie sonst. Zum Beispiel, als vergangenes Frühjahr der Papst im Sterben lag. Niemand wusste, wer die Nachricht des Todes verkünden würde, früher oder später. Es traf die Moderatorin des „heute-journals“. „Ich dachte, oh, da werden jetzt ein paar Millionen vor dem Bildschirm sitzen, die da auch mit gerechnet haben, aber du bist der Überbringer der Botschaft“, erinnert sie sich. Das sind große Momente, herzklopfende Aufgaben: „Da hat man auf jeden Fall eine besondere Informationsfunktion.“ Der Adrenalinspiegel stieg, zumal die Ungewissheit blieb: welche Bilder vom Petersberg würden kommen, welche Gesprächspartner zur Verfügung stehen, „wie lange muss Zeit überbrückt werden, wo du nur reden, reden, reden musst“.

Zwar liebt es Marietta Slomka einerseits „im wogenden Infomeer“ zu stehen, doch sieht sie in der enormen Geschwindigkeit des Nachrichtenapparates andererseits die Schwierigkeit und Schwächen. „Extrem ist das in Kriegszeiten“, sagt sie und zwirbelt an dem schwarzen Band ihrer Kette, „weil die Medien da ja auch bewusst desinformiert werden. Die Gefahr, etwas Falsches zu sagen, ohne dass man es will, besteht ständig.“

Das Nachrichtengeschäft ist anders geworden in den vergangenen fünf Jahren. „Seit dem 11. September 2001 ist die Bereitschaft, sofort das Schlimmste anzunehmen, viel mehr da.“ Ein kleines rotes Licht, das in ihrem Computer eine Eilmeldung anzeigt, reicht, um innere Unruhe aufkommen zu lassen. „Wenn früher eine Agenturmeldung kam: Rauchentwicklung in der Londoner U-Bahn, dann war da eben irgendwo ein Kabel durchgeschmort. Heute denkt jeder sofort an Terror.“

Es gibt Momente, in denen ihr der Gang vor die Kamera Mühe bereitet, weil das eigene Entsetzen so groß ist. Als in Erfurt der Amokläufer um sich schoss oder als sie das Video mit der Enthauptung der amerikanischen Geiseln sah. Da half nur der berüchtigte Schalter im Kopf, der einen funktionieren lässt. Wie den Arzt in der Notaufnahme. Oder den Polizeireporter, der Unfallfotos macht. Doch die Professionalität dient nicht nur dem eigenen Schutz: „Ich finde, ich sollte das Publikum nicht zusätzlich aufpeitschen, indem ich meine Gefühle extrem zeige“, sagt Marietta Slomka. Da bietet sachliche Sprache paradoxerweise Geborgenheit.

In ihrem Moderationsstil legt die ausgebildete Hörfunk- und Fernsehjournalistin Wert auf „Sprechsprache“: „Also nicht Agentur- oder Zeitungssprache, sondern gesprochenes Deutsch. Und zwar eines, das mir selber entspricht, auch umgangssprachliches Deutsch.“ Das ist ihre Art, das unverständliche Geschwafel eines Politikers, der eher zum Parteikollegen denn zum Volk spricht, zu durchbrechen – und dem eigenen Ärger Luft zu machen: „Ich würde mir manchmal wünschen, dass sich Politiker einer einfacheren Sprache befleißigen.“

Manchmal geht Marietta Slomka als Fernsehfrau auf Reisen und interviewt für Reportage-Serien Menschen, die keine Medienfunktion haben. Die alte Polin etwa, die auf dem Dorf lebt und von der neuen Zugehörigkeit zur EU noch nicht viel gemerkt hat. Da kommen Äußerungen, die berühren, weil sie spontan sind, aus dem Bauch heraus, und die Journalistin ist direkt an dem Ort, an dem sich Politik umsetzt.

Das Unterwegssein fehlt ihr mitunter, auch das Draußensein als politische Korrespondentin, die früher mit dem Kamerateam vor der Fraktionstür wartete, um nachher im Pulk mit den Kollegen nach Politikerworten zu haschen. Deshalb zögerte sie, als Chefredakteur Brender vor fünf Jahren unverhofft bei ihr anrief – „ich war gerade dabei, meinen Computer herunterzufahren“ – und ihr seine Idee offenbarte, sie fürs „heute-journal“ von Berlin nach Mainz zu holen. Sie entschied sich gegen das Draußensein, weil sie wusste, dass es ein Privileg ist, einen Minister für ein Interview künftig auf dem Tablett serviert zu bekommen: „Das muss für eine politische Journalistin eine reizvolle Aufgabe sein“, sagt die Tochter eines Politiklehrers und einer Stadtführerin. Sie ist die Synthese aus beiden: „Eine Nachrichtenführerin“, sagt sie lachend.

Amtsmüde fühlt sie sich nach fünf Jahren keineswegs, obwohl der Beruf sie zwischen zwei Standorten hin und her zieht, hier die Wohnung in Köln mit Ehemann Christof Lang, der das RTL-„Nachtjournal“ moderiert, dort die Dienstbehausung in Mainz, in der sie sich nachts, nach der Arbeit, „Miraculi & Co.“ kocht. Kein Grund zu klagen: „Ich finde mein Leben, so wie es jetzt ist, sehr schön.“

Vita

Mariette Slomka wurde am 20. April 1969 geboren. Sie studierte Volkswirtschaft, arbeitete frei für die „Kölnische Rundschau“, absolvierte ein Volontariat bei der Deutschen Welle, für die sie 1997 als Europa-Korrespondentin nach Brüssel ging. Von 1998 an war sie als Parlaments-Korrespondentin beim ZDF tätig, zunächst im Studio Bonn, dann im Hauptstadtstudio Berlin. Schwerpunkte waren Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Im Jahr 2000 begann sie das ZDF-Nachrichtenmagazin „heute nacht“ zu moderieren, seit 2001 ist sie Moderatorin des „heute-journals“.

Veröffentlicht in: Handelsblatt Weekend Journal, 07./08./09.04.2006

 
 
   
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